In Memoriam – Werner Weimar-Mazur

19.12.1955 – 12.06.2025

von I. J. Melodia

Es hat gedauert, bis ich bereit war, diese Worte zu verfassen. Ein Hadern, ob ich Werner gerecht werde, ob ich den richtigen Ton treffe, ob es überhaupt angebracht ist. Endlich erinnerte ich mich an seine Aussage „einfach schreiben, dann kommt alles von alleine“. Und er hatte Recht, wie so oft in literarischen Belangen. Vermutlich ist dieser Text nicht ‚perfekt‘, aber es ist mein Versuch eines persönlichen Abschieds.

2005 hatte ich mich getraut, und einige meiner Gedichte auf einer Online-Plattform öffentlich zur Diskussion gestellt. Damals ein großer Schritt für mich, da sich niemand in meinem Umfeld für das Thema Lyrik interessierte, geschweige denn wusste, dass ich Schreibe.

Da saß ich, ein Anfänger, der sich fast dogmatisch an Stilmittel und Reimschemen aus dem Schulunterricht hielt. Meine Texte unwissentlich in ein viel zu enges Korsett schnürte, für jene Bilder, die meinem Kopf entsprangen. Werner war die erste Person, die zumindest Potential in meinen Worten gesehen hatte. Ein Profi, der bereits veröffentlicht hatte, sogar einen eigenen Gedichtband – quasi mein größter Traum – und half mir, mich literarisch selbst zu befreien. Er motivierte mich, gab mir Ratschläge, drängte mich manchmal, Neues zu probieren, aus meiner Komfortzone auszubrechen. Kompromisslos. Zum Glück.

Kurz darauf unser erstes Treffen, gemeinsam mit anderen Autoren aus dem Forum. Was als nettes, literarisches Wochenende begann, endete in der Gründung unserer Autorengruppe „Die Grenzgänger“, wobei Werner durchaus federführend war. So organisierte er im Alleingang zwei Lesungen für uns und war, bis auf unsere Lesereise nach Rumänien, bei jedem Treffen dabei. Mit Gedichten, mit Geschichten, mit Anekdoten prägte er diese nachhaltig.

Bei jedem unserer persönlichen Verabredungen sprach er von neuen Projekten, Ideen und Texten. Werner atmete Literatur und sein Enthusiasmus war immer ansteckend. Oft setzte ich mich, wieder zuhause angekommen, inspiriert direkt an etwas Neues, unabhängig der Uhrzeit.

Seine Begeisterung für die Literatur ließ ihn immer mehr vom Geologen zum Schriftsteller werden. Verflocht seine beiden Leben lyrisch, fand stets neuen Nährboden für Bilder und Worte. Zurecht wurde ihm von einem bekannten Literaten attestiert, dass sein Schreiben weit mehr als ein Hobby sei. So addierten sich in den letzten 13 Jahren sechs Lyrikbände zu seinem Gesamtwerk. Dieses Jahr sollte ein weiterer Gedichtband erscheinen, auch hatte er sein großes Roman-Projekt vor Augen, das fortgeführt werden sollte. Das kann ich nur bewundern.

Werners Drang zum Schreiben, ließ in eigene Bilder, ja Chiffren erschaffen, die wie ein roter Faden durch seine Texte mäanderten. Welten, gefüllt mit Mythologie, Tieren, Steinen und seiner ganz persönlichen Sprache.

In seinen letzten Gedichten, die ich lesen durfte, konnte man eine stille und doch wortgewaltigen Abreise herauslesen. Ohne Reue, ohne Wehleiden. Dafür wie immer mit einer literarischen Klarheit. Am tiefsten bewegt, weil sich der Text so persönlich wie selten liest, hat mich sein folgendes Gedicht1:

nachgelassenes leben

bewohne mich
ziehe in meine geflieste herzkammer
vögel bringen den atem

erinnerungen metastasieren

mutter las und rauchte im bett
mit 62 war ihr körper am ende
meiner hat es ein bisschen weiter geschafft

ich hinterlasse verse
aber wer liest gedichte

ich schaukle auf einer wellenbewegung des todes
auf und ab
hin und her

unter mir ist die tiefste stelle der erde

ich liege rücklings
über mir male ich wolkenbilder in den himmel
gesichter

überall stimmen
landschaften erscheinen

kindheiten
in einer spiele ich verstecken

niemand findet mich

Hier hat sich Werner allerdings geirrt: Wir lesen seine Gedichte. Immer und immer wieder aufs Neue. Und wir finden ihn. In Worten und Zeilen, im Schatten der Bäume, im Gestein, ja selbst an der tiefsten Stelle der Erde.

Werner war mir 20 Jahre lang Lehrer, Mentor und vor allem Freund. Und für dieses Privileg werde ich ewig dankbar sein.


I. J. Melodia

über dem löwentor schrieb man dir

du hast sie gefunden
die bleistifte Homers

mit ihnen hast du
deinen boden erkundet
und noch tiefer gegraben
hinter das kalkgestein geschaut
findlinge aufgefaltet
worte befreit

deine zeilen wurden tektonik
versetzten städte in metaphern
die nachklingen wie Mykene
vogelmenschen kamen über das meer
lungenfische mit dem wellengebirge
gebrandet und geflogen

auf den rücken von leoparden
trägt man dich zwischen
immergrünen blättern und
im schatten des baumes
fallen deine gedichte
leiser
weicher
2


1 Mit der Erlaubnis seiner Frau.
2 Werners Gedicht Im Schatten paraphrasiert.

6 Gedanken zu „In Memoriam – Werner Weimar-Mazur

  1. Michael Eschmann

    Ich lese den Text bereits ein zweites Mal und finde ihn wunderbar. Diese Art von persönlichem Rückblick ist ein schöner Einblick in das Geheimnis des Schreibens. Er ist zugleich Ansporn und Ermutigung für all jene, die gerne schreiben möchten, aber nicht wissen, wie sie es anpacken sollen. Dabei ist es immer gleich: Einfach probieren, einfach tun, immer wieder, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr und zuletzt: staunen!

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  2. Claudia Dvoracek-Iby

    … ein sehr berührendes Zurückschauen und Abschiednehmen… – so ausdrucksstarke Gedichte …
    Danke dafür!

    Antworten

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