Schlagwort-Archive: Alina Becker

Alina Becker – Als Lily eine lustige Geschichte schreiben wollte

Immer wenn Lily schreibt, bekommt sie diesen völlig entrückten Gesichtsausdruck. Wenn sie überlegt, starrt sie dann Löcher in die Luft, egal wo sie sich befindet. So wie jetzt im Café.
„Lily?“ Ich fuchtele mit meiner Hand vor ihren Augen herum, die auf ein Bild an der Wand gerichtet sind, eine dieser kitschigen Fotografien, auf denen kleine Kinder küssender- oder schmusenderweise abgebildet sind, in Schwarz-Weiß mit Farbakzenten, meistens Rosen, wie auch in diesem Fall. Gar nicht Lilys Geschmack, und doch starrt sie schon seit fünf Minuten auf diese trikolore Scheußlichkeit.
„Shht!“, macht Lily. „Ich denke.“
„Soll ich dir dabei helfen?“, biete ich an, denn meine Kaffeetasse ist mittlerweile leergetrunken, der Inhalt von Lilys bestimmt eiskalt geworden, und ich langweile mich. Lily klopft mit ihrem Kugelschreiber, einem dieser billigen Plastikteile, die sie immer zigfach in Drogeriemärkten kauft, gegen ihre Schneidezähne. Lily hat bemerkenswert große Schneidezähne, die genügend Klopffläche bieten.

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Richter und Henker zugleich

Leselust/Lesefrust: Was habt ihr denn erwartet?

von Alina Becker

Er ist wieder da. Aus den unendlichen Bücherhallen in der Heiligen Stadt Köln auf direktem Wege weiß gewandet ins ebenso weiße Paradies, das furchtbar langweilig wäre, gäbe es da nicht die Möglichkeit „schlechte, missratene, ja vollkommene (sic!) miserable Bücher“[1] zu analysieren und zu verreißen. Was auf den ersten Blick wie ein Upgrade wirken mag, ist nichts weiter als der neueste, umstrittene Streich des SWR und des vor allem als Literaturkritiker bekannten Denis Scheck: Schecks Anti-Kanon.

Das Format ist kurz erklärt: Scheck, in optischer Anlehnung an Morgan Freemans Gott-Interpretation in Bruce Allmächtig, thront in einem weißen Studio vor vollen Bücherregalen mit nach hinten gedrehten Buchrücken und mokiert sich drei bis sechs Minuten lang in gewohnter Druckfrisch-Manier über ein literarisches Elaborat seiner Wahl. Zum Abschluss dann der Fingerzeig Gottes und ein Lichtblitz, der das geschmähte Werk nicht nur in Flammen aufgehen lässt, sondern gleich vaporisiert. Fahrenheit 451 plus. Die Auswahl der Werke: bestenfalls mäßig interessant.

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Die Last mit der Leselust: Tsundoku

von Alina Becker

Ich habe ein Problem, und dieses Problem teile ich vermutlich mit sehr, sehr vielen Menschen. Es ist gesellschaftlich derart akzeptiert, dass einige Kulturen dafür gar einen eigenen Ausdruck kennen. Die Japaner nennen dieses Problem „Tsundoku“. Damit gemeint ist das Phänomen, „[e]in Buch ungelesen [zu] lassen, nachdem man es gekauft hat, und es zu den anderen ungelesenen Büchern [zu] legen.“[1] Mangels eines adäquaten deutschen Begriffs nenne ich mich wider aller politischen Korrektheit meist schlicht einen Büchermessie.

Nun gibt es sicherlich schlimmere Formen des zwanghaften Hortens. Die Tierhortung, beispielsweise. Bücher braucht man nicht zu füttern, sie koten und haaren nicht, und einen unangenehmen Geruch sondern sie nur ab, wenn man sie zu lange in abgegriffenen, muffigen Kartons auf einem Dachboden vor sich hin gammeln lässt. Und im Gegensatz zu Hardcore-Preppern stehen Bücherhorter nicht irgendwann vor dem Problem des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums. Bücher altern und reifen mehr oder weniger gut, aber schimmlig werden sie nur im Feuchtigkeitsfall.

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Leselust oder Lesefrust? Die Ästhetik der Bücherregalo(r)gie

von Alina Becker

Die skurrilen Umstände bringen es mit sich, dass im Moment eine Menge Leute sehr viel Zeit haben, was sich in zahlreichen Ratgeberbeiträgen (ob im Fernsehen, in Zeitungen, als Blogbeiträge oder vollkommen ungewollt in Kettenbriefform über Muttis unzählige Whatsapp-Kontakte) niederschlägt. Nachdem ich sämtliche Ratschläge zur achtsamen und produktiven Nutzung der coronabedingten Isolationszeit umgesetzt, also den Frühjahrsputz hinter mich gebracht, eine dreistellige Anzahl Atemmasken genäht, eine neue Sprache gelernt, meinen Bikinibody perfektioniert, meinen Erstlingsroman vollendet und mich quer durch den Bocuse gekocht hatte, wurde es wieder Zeit für ein bisschen Realismus und Entspannung mit Youtube.

Entspannung? Wer hofft, beim hemmungslosen Passiv-Youtuben abschalten zu können, ohne ständig mit unterschwelligen Erinnerungen an seine eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert zu werden: Pustekuchen. Nach stundenlangem wildem Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Videos landete ich auf einem Clip, in dem ein nicht nennenswerter Influencer über ein nicht nennenswertes Thema schwadronierte – und zwar vor einem Bücherregal (IKEA, weiß, vermutlich Billy), das durch atemberaubende Ordnung, ja, man könnte fast sagen: Schönheit bestach. Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, was diesen (sicherlich ganz zufällig gewählten) Bücherhintergrund ausmachte: Der Hipster hatte seine Bücher nach Farben sortiert!

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16 Fragen an Alina Becker

Alina Becker ist KeinVerlag-Autorin, regelmäßige Teilnehmerin und Mitorganisatorin der ZUSAMMEN/KUNST!. Hier und heute ist sie vor allen Dingen unsere dritte Interviewpartnerin für die Rubrik 16 Fragen. Über sich selbst schreibt Alina:

KeinVerlag-Autorin Alina Becker beantwortet 16 Fragen.

KeinVerlag-Autorin Alina Becker beantwortet 16 Fragen.

“Guten Abend, alle miteinander. Mein Name ist Alina. Ich bin eine Ravenclaw, liebe Suppen jeglicher Art und mein Starterpokémon war meistens der Feuerstarter. Ich entstamme der Sippe der sieben Zwerge im Land der tausend Berge. Großen Ruhm erlangte ich dereinst mit meiner Pfirsichbowle. Mit sieben Jahren verfasste ich meine ersten Romane: ‘Weihnachten bei Familie Feldmaus’ und ‘Eine Prinzessin hate keine Krone’ (sic!). Seitdem ging es so steil bergab, dass es mich letztendlich ins Rotstiftmilieu trieb und ich mangels eigener Vorstellungskraft versuche, Kapital aus den kreativen Werken Dritter zu schlagen. Vielleicht kann ich davon irgendwann sogar meine Krankenversicherung bezahlen. Was ich hier mache? Ich liebe Fragebögen!”

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