Archiv der Kategorie: Prosa

Juri Ricken – PurPur und KI

Smirov las die Mail zum wiederholten Male durch. Die Mail in welcher stand, dass seine Arbeit durch eine künstliche Intelligenz ersetzt wird. »Es ist so weit.«, dachte er in sich, »Das in letzter Zeit so oft debattierte Szenario trifft jetzt also ein …« Ungläubig las er nochmals. Dann klappte er seinen Laptop zu. Er dreht sich auf seinem Stuhl und blickte in sein Zimmer. Forschend sah er erst seine Gitarre und sein Klavier an, dann wanderte sein Blick über das Bücherregal und haftete sich auf seine Staffelei, die sich direkt neben den großen Kastendoppelfenstern befand. »Wird all das noch Wert haben in der Zukunft? Wird alles was mir wichtig ist erodieren? Ist es nicht schon im vollen Gange?« Smirov sprach laut in sein Zimmer hinein. Es überkam ihn auf einmal ein schrecklicher Weltschmerz. Undefiniert, nicht greifbar, breitete sich das Gefühl in ihm aus. Sein Herz zog sich zusammen. Schwindelnd stand er von seinem Stuhl auf und taumelte in die Küche. Vor seinem Weinregal machte er halt und zog eine Flasche SYRAH Jahrgang 2018 heraus. Er schenkte sich großzügig ein, weitaus mehr als es bei Rotwein vornehmend wäre. Sein Glas war randvoll. Er trank einen kräftigen Schluck ab und schaltete das Radio ein. “Helplessly Hoping” von Crosby, Stills & Nash ertönte aus dem kleinen Lautsprecher. Smirov sackte auf den Stuhl nieder, nahm einen weiteren, kräftigen Schluck, stellte sein Glas nieder, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und schaute aus dem Küchenfenster in den Innenhof. Als das Lied zu Ende war, nahm er den letzten Schluck aus seinem Glas und schaltete das Radio ab. Zur Tür laufend warf er noch einen Blick in sein Wohn- und Arbeitszimmer und bemerkte, dass Also, sprach Zarathustra noch aufgeschlagen auf seinem Lesesessel lag. Er nahm das Buch und schob es in eine passende Lücke ins Bücherregal. Als Smirov auf die Straße trat, merkte er, wie ihm der Wein bereits zu Kopf stieg.

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Johannes Tosin – Gotteswerk

Die Menschen waren unzufrieden im Jahr 6026. Im Jahr eins erschuf Gott die Welt, wie allgemein bekannt. Für die Christen entspricht das Jahr 6026 dem Jahr 2022 ist. Die Menschen der ersten Jahre nach der Schöpfung hatten Glück, dass sie die Dinosaurier überlebten. Ihrem grobschlächtigen Kollegen Neandertaler machten sie auch den Garaus. Nun ja, mit ein paar wenigen von ihnen pflanzten sie sich sogar fort. Doch nun war die Erde übervoll von den Menschen. Die meisten lebten in den Städten, die immer weiter anwuchsen, Gigacities, deren Bewohner sich entfremdeten. Es gab immer weniger zu tun. In der langen Freizeit schluckten viele Oxy, hinterher spürten sie nicht mehr, auch sich selbst nicht. Es gab etliche weitere Punkte, die kaum jemandem gefielen.

Kurzum, die Menschen waren unzufrieden, deshalb schickten sie ihren gewählten Vertreter Lollo zum lieben Gott. „Lieber Gott, wir hätten gern ein anderes Leben“, sagte Lollo. „Aha“, sagte der liebe Gott, „wie wäre es euch denn recht?“ „Ja, so wie ganz am Anfang, würde ich sagen“, sprach Lollo. „Wie im Paradies?“, fragte der liebe Gott. „Grundsätzlich schon, ich denke, das wäre ganz in Ordnung für uns“, sagt Lollo. „Dann sei es so“, sprach Gott.

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Alina Becker – Nur die Fliegen, die Fliegen nerven so!

Eigentlich war es ein schöner Sommer, dachte er und griff zur Fliegenklatsche. Der mit dem blauen Griff, aber er hatte noch zwei andere, eine rote und eine schwarze, wo die war, wusste er nur nicht mehr.
Das kleine Tierchen hatte sich auf den Küchentisch gesetzt, direkt neben sein Mittagessen, Spinat und Kartoffelpüree. Die Fischstäbchen waren verbrannt, als er auf der Jagd nach vier Fliegen gewesen war, die sich heimlich in die Küche geschlichen hatten. Eklige Biester. Derentwegen hatte er die Fischstäbchen wegwerfen müssen.
Diese Fliege war die fünfte heute. Nur in der Küche. Vorsichtig hob er die Fliegenklatsche. Verharrte einen Moment. „Bye, bye“, flüsterte er und ließ das Kunststoffgitter unvermittelt auf das arme Tier niedersausen. Drückte noch einmal extra zu, presste es zu Matsch.
Zufrieden ließ er die platte Fliege platte Fliege sein und begann zu essen.

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Christiane Portele – Gedankenplätschern und Gedankenflüge

Wenn sie an einem dieser diesigen Frühsommertage aufs Meer sah, so schien die Horizontlinie zu verschwimmen, die Grenze zwischen Wasser und Luft sich aufzulösen, Meer und Himmel ineinander überzugehen. Wie auf einem Gemälde, wenn ein feiner Strich immer blasser wurde und irgendwann nicht mehr zu erkennen war. Die Farbschattierung näherte sich zu dieser nicht mehr vorhandenen Linie hin aneinander an, wurde zu einem gemeinsamen Farbton. War der Himmel pastellfarben, ein weiches, wässriges Blau, das Meer hingegen ein kräftiges Türkis, so schien der Himmel zum Meer hin kräftiger, das Meer zum Himmel hin feiner zu werden, bis sie sich vermengten, zu einer Farbe verschmolzen.

Sie stellte sich dann vor, wie Luft und Wasser zu einer Masse, einer Mischung wurden, einen Aggregatszustand teilten, ineinander zerflossen, nicht mehr Flüssigkeit noch Gas, ein einheitliches Gemenge. Vielleicht jedoch wirbelten auch ganz feine Tröpfchen mitten durch die Luftmoleküle hindurch. So fein, dass alles wie eins erschien.

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