Nur herunter gekommene Männer bückten sich nach Dingen, die auf dem Boden lagen, dachte sie. Frauen gehen über solche Belanglosigkeiten hinweg. Daran hatte sie sich gehalten, bis zu diesem Tag. Sie war gerade aus ihrem Büro gekommen, Feierabend, suchte ihr Auto, sah es, ach, dort steht es ja. Und blickte, beim Öffnen der Fahrertür, von etwas Hellem angezogen, zu Boden, auf das Kopfsteinpflaster, wo ein weißer Zettel lag. Sie dachte, den habe ich bestimmt eben verloren und hob ihn auf.
Nur der Name „Tom“ stand drauf und darunter eine längere Nummer, vermutlich die seines Telefons, aber einen Tom kannte sie nicht. Wozu also, flog ihr der dazu gehörende Gedanke durch den Kopf, eine Nummer aufbewahren, die nicht wichtig ist. Sie wollte das handtellergroße Papier schon wieder auf die Straße werfen, als sie eine angenehme Wärme spürte, die von diesem weißen Zettel in ihre Finger strömte.
Später, zuhause fragte sie ihre beiden Katzen: Soll ich dem Zufall dankbar sein und diesen Tom heute noch anrufen? Die Katzen wandten die Köpfe ab, was sie als Ablehnung verstand und sie dazu brachte, nicht weiter an den Unbekannten zu denken. Die Katzen dankten es ihr, kamen herangeschlichen, legten sich links und rechts neben sie auf das Sofa und schliefen bald ein.
Gut, also nicht heute, dachte sie. Es ist immer besser, erst eine Nacht darüber zu schlafen. Wenn dieser Tom auch dann gut für mich ist, wird es morgen nicht zu spät für einen Anruf sein.
Sie ließ sich aber auch vom nächsten Morgen nicht verführen, wie ein Trüffelschwein der Spur der schönen Nummer, die ihr in den Augen glänzte, zu folgen, auch wenn der Name ihr jetzt schon vertrauter war.
Abends nahm sie einen Bilderrahmen, klemmte den weißen Zettel zwischen Glas und Rückwand und hängte den nun wieder mit etwas Sinnvollem gefüllten Rahmen über ihrem Bett an die Wand. Als Notrufnummer für eine plötzlich auftretende Krise umfassender Einsamkeit.
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