Johannes Tosin – Gotteswerk

Die Menschen waren unzufrieden im Jahr 6026. Im Jahr eins erschuf Gott die Welt, wie allgemein bekannt. Für die Christen entspricht das Jahr 6026 dem Jahr 2022 ist. Die Menschen der ersten Jahre nach der Schöpfung hatten Glück, dass sie die Dinosaurier überlebten. Ihrem grobschlächtigen Kollegen Neandertaler machten sie auch den Garaus. Nun ja, mit ein paar wenigen von ihnen pflanzten sie sich sogar fort. Doch nun war die Erde übervoll von den Menschen. Die meisten lebten in den Städten, die immer weiter anwuchsen, Gigacities, deren Bewohner sich entfremdeten. Es gab immer weniger zu tun. In der langen Freizeit schluckten viele Oxy, hinterher spürten sie nicht mehr, auch sich selbst nicht. Es gab etliche weitere Punkte, die kaum jemandem gefielen.

Kurzum, die Menschen waren unzufrieden, deshalb schickten sie ihren gewählten Vertreter Lollo zum lieben Gott. „Lieber Gott, wir hätten gern ein anderes Leben“, sagte Lollo. „Aha“, sagte der liebe Gott, „wie wäre es euch denn recht?“ „Ja, so wie ganz am Anfang, würde ich sagen“, sprach Lollo. „Wie im Paradies?“, fragte der liebe Gott. „Grundsätzlich schon, ich denke, das wäre ganz in Ordnung für uns“, sagt Lollo. „Dann sei es so“, sprach Gott.

Schlagartig war überall auf der Erde das Paradies, Gras, Bäume, Wasser. Jeder lebte mit der Person zusammen, die er liebte, meistens Mann und Frau, seltener auch Mann und Mann und Frau und Frau, und wer starke soziale Probleme hatte, lebte manchmal alleine. Jedes Paar oder jede einzelne Person hatte mindestens einen Quadratkilometer zur Verfügung, in dem es alles gab, was man zum Leben brauchte. Dieser private Quadratkilometer wurde den Menschen in den fruchtbarsten Teilen der Erde zugewiesen. In Mitteleuropa konnten es drei Quadratkilometer sein, in der Sahara sogar tausend Quadratkilometer Diese Fläche wurde durch Steine, die eine Farbe hatten, die sich deutlich vom Untergrund abhob, markiert. Sie wurde Refugium genannt und durfte nur in einer Notsituation verlassen werden.
Doch damit begangen neue Probleme.
Der Mensch ist ja ein Problemtier. Er ist selten zufrieden, da er sich andere mögliche Situationen ausmalt. Immer kann es besser sein, wenn es anders ist, denkt der Mensch. So funktioniert er. Vielleicht hätte Gott ihn etwas einfacher gestalten sollen, aber das weiß nur Gott allein.
Manche Paare bemängelten zu wenig Platz. Andere Männer oder Frauen hatten ein Gspusi mit jemandem, der nun unglücklich mit seiner ungewollten Partnerin oder seinem Partner zusammenhockte. Natürlich kam es auch vor, dass Menschen ein nachbarliches Refugium als fruchtbarer einschätzten. „Alois‘ und Erikas Granatäpfel sind viel größer und süßer als unsere“, wiegelte eine Frau ihren Freund auf. „Mach etwas, Hans!“ „Was soll ich denn tun, Schatzi?“, fragte Hans. „Du bist der Mann, lass dir etwas einfallen!“, sagte Schatzi.
Hans hatte tatsächlich eine vermeintlich gute Idee, die des Tauschhandels. Alois bringt fünf besonders gelungene Granatäpfel mit und sucht dafür Schatzi auf. Für wie lange? Das ist unbekannt, da es im Paradies weder Uhr noch Kalender gibt. Für eine gewisse Zeit halt. Erika hat natürlich keine Ahnung von dieser Angelegenheit.
Gott, der alles sieht, hört, bemerkt, missfiel das sehr. Prostitution darf es im Paradies nicht geben! Es schickte einen Blitz zur Erde, der Alois und Schatzi tötete. Einer muss schließlich für Ordnung sorgen, und nur Gott kann das sein.
Das mit der Markierung der Refugien wird nicht funktionieren. Die Menschen verfügen über einen angeborenen Freiheitsdrang. Wahrscheinlich hätte ich den bei Adams Erschaffung weglassen sollen, aber was soll’s, es ist schon passiert.
Gott ersetzte die Steine durch zwei acht Meter hohen Elektrozäune, zwei Meter voneinander entfernt. Danach sagten manche Menschen: „Das erinnert mich an Buchenwald“, oder „Hier sieht es aus wie im Gulag Workuta.“
„Wie undankbar sind nur die Menschen!“, sagte sich Gott. „Ich tue das ja nur für sie. Erst einmal müssen sie zur Ruhe kommen, dann werden wir weitersehen.“
Gott kam eine Idee zum Thema Eigen- und Fremdwahrnehmung. In diesem speziellen Fall sah er sich mehr als Coach denn als Gott. „Leute“, sagte er, „wir veranstalten jetzt eine geheime Umfrage unter euch Männern. Jeder kennt die Geschichte von Kain und Abel, nicht?“ „Nein“, rief mancher Mann. „Ich habe nicht den blassesten Schimmer davon.“ „Gehst du denn nicht in die Kirche?“, fragte Gott dann. „Nein.“ „Oder liest du die Heilige Schrift?“ „Nein“, der Angesprochene, „ich lese gar nichts.“ „Ojeoje!“, sagte Gott und erzählte die Geschichte von Kain und Abel.
Die Frage an die Männer war, wer glaubte, Abels oder Kains Charaktereigenschaften zu besitzen. Das Ergebnis war, dass sich 93 % der Männer für Abel-ähnlich und 5 % für Kain-ähnlich hielten, 2 % enthielten sich der Stimme.
„Leute“, sagte Gott bei der darauffolgenden Ansprache, „ihr liegt völlig falsch bei der Einschätzung eurer selbst. Ich kenne euch ja sehr genau. Ihr seid schließlich meine Geschöpfe. Die wahren Zahlen sehen derartig aus, dass 59 % viel mit Kain gemeinsam haben und 41 % mit Abel, bei keiner einzigen Enthaltung. Logisch nicht, ich meine die fehlende Enthaltung. Meine lieben männlichen Freunde, ihr müsst noch sehr an euch arbeiten.“
Später regnete es stark, tagelang und große Mengen an Wasser. „Lieber Gott“, sagte da jemand zu ihm. „wir müssen eine Arche bauen, denn du bereitest ja die nächste Sündflut vor, aber wie soll ich das nur mit meiner Gefährtin?“ Gott hatte gar nicht vor, wieder eine Sündflut zu schicken. Der viele Regen kam zufällig. Zufällig? Nichts, wo Gott eingebunden ist, ist zufällig! Doch das mit der nicht geplanten Sündflut wollte er diesem Mann nicht an die Nase binden. Die Menschen können gut ein bisschen Bewegung brauchen, dachte er.
„Okay“, sagte er, „ich kann in deinem Refugium an jeder Seite eine Tür für den ersten und eine zweite für den nächsten Zaun einbauen, also acht Türen, die vom Stromfluss abgeklemmt sind. Was meinst du dazu, mein Lieber?“ „Ich finde das mega, und ich bin mir sicher, dass alle meine Mitmenschen sehr happy darüber sind“, sagte der Mann.
„So sei es“, sprach daraufhin Gott. Und innerhalb eines Wimpernschlags wurde es real. Alle Refugien waren nun miteinander verbunden.
Bald sprach einer der ersten Arbeiter bei Gott vor. „Mein lieber Gott“, sagte er, „wir haben das Problem, dass die Türen viel zu klein sind. Das behindert uns beim Materialtransport. Wäre es vielleicht möglich, diese Türen großer zu gestalten? Ich meine, viel größer.“ Er breitete die Arme aus.
Gott überlegte. Der Mann hat Recht, dachte er. „Okay, die Türen werden doppelt so hoch und doppelt so breit gemacht“, sagte er.“ Doch kurz darauf meldete sich ein anderer Arbeiter mit demselben Problem. Und bald waren viele, die meisten, alle Türen so hoch wie die Elektrozäune, die Gott deshalb in Luft verwandelte.
Die Schiffe, die die Menschen bauten, waren nicht nur bauchige Archen für die Fauna, sondern auch schmale Segelboote mit zwei oder drei Rümpfen, deren Ziel es wohl auch war, möglichst schnell zu sein. Als Baumaterial stand nur Holz und holzverwandte Stoffe wie Lianen zur Verfügung, es gab ja weder Metallurgie noch Kunststoffverarbeitung.
Elegant, diese Katamarane und Trimarane, dachte Gott, doch sie dienen doch eher der Freizeit als alle Arten zu retten, nicht?
Manche Holzgebilde sahen überhaupt nicht wie Boote aus. Nein, überhaupt nicht, sondern wie riesige Pferde. Die kenne ich doch, überlegte Gott, und zwar von Troja. Das gefällt mir überhaupt nicht. Ich muss da etwas unternehmen. „Leute“, sagte er, „ich sehe, wie fleißig ihr gearbeitet und kunstvolle Gebilde gezimmert habt. Aber Trojanische Pferde sind nicht zulässig. Die dienen ja bloß zur Vernichtung von Feinden. Ihr habt aber keine Feinde. Hier im Paradies ist jeder Mann dein Bruder und jede Frau deine Schwester. Ihr müsst, bitte, diese Pferde in Schiffe umbauen.“
„Aber Himmlischer Vater“, sagte nun ein Mann, „es hat doch längst aufgehört zu regnen. Wir glauben nicht, dass wir noch Schiffe brauchen werden.“ Ja, was soll ich denn jetzt sagen, dachte Gott. Ha, ich weiß schon! „Meine lieben Freund*innen“, Gott genderte sogar, um möglichst modern rüberzukommen, „ich verstehe, dass Schiffe für euch nicht unbedingt vonnöten sind. Ich schlage vor, ihr baut euch Behausungen. Na, seid ihr zufrieden mit meinem Vorschlag?“
„Besser als nichts!“, rief der Mann, der vorhin Gott ansprach. „Mann, sei nicht blöd!“, wies ihn ein andere zurecht. „Lass mal mich reden!“ „Ja, mein lieber Wiedersprechender“, sagte Gott, „was hast du mir denn mitzuteilen?“ „Lieber Gott, es ist folgendermaßen“, sprach der Mann, „es ist für uns ein großer Fortschritt, wenn du uns erlaubst, Behausungen zu errichten.“ „Es freut mich, dass du mir Recht gibst, mein Freund“, sagte Gott. „Ja, danke, lieber Gott, worauf ich hinauswill, ist, dass unser großes Pferd ja mitnichten ein Trojanisches ist, sondern eben eine Behausung. Unsere Behausung soll Big Pony heißen.“
Tja, was soll ich denn jetzt sagen, dachte Gott. Das ist doch ein Trick, nicht? Ich kann mich doch nicht für blöd verkaufen lassen. Ich bin ja sogar nicht der Präsident oder Kanzler dieser Menschen, ich bin ihr Gott. Tick-tack, die nicht mehr vorhandenen Sekunden vergehen. Ich muss mich äußern! Gott schließt die Augen. Als er sie wieder öffnet, ist ihm die Lösung gekommen.
„Mein schlauer Big-Pony-Mann, ich habe mich entschieden. Ich erfülle dir den Wunsch, dass du dieses überdimensionale Pferd als Behausung verwenden darfst. Ich muss sagen, dass ich finde, dass es ziemlich gut aussieht. Allerdings darfst du das Big Pony nicht bewegen. Das gilt für euch alle, meine Menschen. Was meint ihr dazu, sprach Gott.
„Super! Spitze! Wunderbar! Toll! Ein dreifaches Hoch auf unseren Gott! Wir sind glücklich, sein Volk zu sein!“, schallte es von der Menge zurück.
Endlich sind meine Geschöpfe im Paradies angekommen, dachte Gott. Würde ich einer von ihnen sein, wäre ich glücklich.


Foto: Johannes Tosin

Hier geht es auch zu den 16 Fragen an Johannes Tosin.

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