Minze – Eingriff

Er sieht mich nicht an, als ich dastehe, zumindest scheint es so. Eigentlich sehe ich ihn direkt an und er ist überrascht und schaut vorbei. Ich habe mich bereits auf Slip und BH ausgezogen, die Sprechstundenhilfe sagte, ich könne den BH auch wegmachen, da kommt er schon. Ich bin davon ausgegangen, ich würde nur von der Sprechstundenhilfe in das Zimmer gebracht, auf dem Schild steht Chirurgie, aber sie bleibt da, sie hat noch eine zweite dabei, ich vermute, die zweite ist in Ausbildung, denn ihr wird alles Mögliche erklärt, auch von ihm.

Als wir die Entfernung des Muttermals und des roten Punktes am Po vereinbart haben, habe ich mir vorgestellt, wir sind zu zweit.

Er öffnet die Tür in einer Vorstellung, die unterbrochen wird. Ja, um welche Hautpartien geht es noch einmal, sagt er. Dabei ist er total aufmerksam, ich bin mir sicher, ich fühl, dass er weiß, worum es geht und es trifft auch sofort auf sein Verständnis, seine Aufmerksamkeit, als ich ihn frage, ob ich den BH ausziehen soll, er meint, wir bekommen es so hin und wechselt den Blick vom Muttermal zu mir, zu meinem Gesicht, er bittet mich, mich hinzulegen, ich bin ein bisschen beunruhigt, er sagt dann, wie er das machen wird und dass desinfizieren und lokale Anästhesie vorangehen. Er schaut mich weiter an, ich aber wende mich ab. Ich höre ihn, finden die beiden Sprechstundenhilfen laut. Sie machen Geräusche, suchen das Geschirr oder besprechen die Materialien, die Ältere erklärt der Jüngeren, wo was liegt. Ich, die mit der ganzen Aufmerksamkeit bereit sein wollte für das, was er mir erklärt, bin abgelenkt. Ich spüre die Verbindung zwischen meinem Körper, seinem nahenden Eingriff und meiner Angst oder Vorfreude wenig – noch, doch dann passiert schon etwas. Ein Kribbeln, ich tippe an meinen Oberschenkeln, leise, kann mich nicht so bewusst hinlegen, so eine ganze Weile in Unterwäsche direkt vor ihm, wie er neben mir sitzt. Mich zu mir zu verhalten, kann ich kaum, das ist es, warum ich wegsehe, ich bin in einer neutralen Position.

Ich möchte aber etwas erwidern, er spricht seine Kolleginnen an und klärt sie auf, was er, wann wie braucht und da schau ich zu ihm, zu seinen Haaren, sie sind immer leicht fettig, ein geschmeidiges fettig. Seine Stimme ist ruhig und auch pädagogisch, ich finde es klarer, wenn er es mir dann erklärt, als könnte ich es sofort erfassen, ich muss ja auch nicht handeln oder zwingend Fachbegriffe einordnen aus Berufsgründen, er sagt mir direkt, was ist, als würden wir davon ausgehen, dass ich alles verstehe. Ich weiß noch immer nicht genau, was der rote Punkt am Po genau ist, aber ich teile sein beruhigendes Verständnis über die Alltäglichkeit und den üblichen oder zumindest angebotenen Umgang damit: die Möglichkeit, es herauszustechen, die Möglichkeit, es ins Labor, nur zur Sicherheit, zu schicken und so weiter.

Er fängt also mit dem Muttermal an, ich spüre unter der Brust keine Spritze – doch, den Einstich – aber nichts danach, er testet es an, er sagt: Ich teste, ob Sie etwas spüren, und ich schaue ihn an, nicht fest, aber so, dass ich es zulasse eben und sage, dass ich nichts spüre, ich höre einen Schnitt und bin froh, dass er es weggemacht hat, aber in mir ist es trotzdem ungewohnt. Dass ich es nun nicht mehr bei mir trage, dieses Muttermal. Ich werde sicher lange daran tasten und es nicht mehr haben. Als wir über den roten Punkt sprachen, wollte ich, dass er auch das Muttermal nimmt, es war eine spontane Entscheidung, er konnte sie nachvollziehen und meinte, dass es auch an einer Stelle sei, eventuell, da würde der BH reiben. Das war es nicht, ich würde einen anderen Grund nennen, aber für mich war es okay. Wenn es seine Erklärung wäre, als sei es die Erklärung, die er der Krankenkasse nennen könnte. Wir waren einverstanden. Ausgangspunkt war der rote Punkt: er war neu und störend, vor allem in der Härtung.

Ich halte den BH etwas hoch, während er schneidet, ich war überrascht über diesen Vorschlag, aber es ist auch einfacher, weil es etwas geht und diese ganzen Gespräche und das Einlernen der neuen Kollegin da ist und ich dann nicht nackt bin im Hin und Her. Es ist angemessen, vielleicht muss ich es so sehen in der Situation, die auf einmal größer ist, als ich dachte. Ich frage etwas verunsichert nach dem ersten Step, ob ich mich für den roten Punkt auf den Bauch drehen soll, aber er korrigiert mich, wir sehen uns wieder an, auf die Seite, dann erklärt er, warum er, welches Stechwerkzeug braucht, mehrmals und warum, er erklärt es den Helferinnen, dabei bin ich angespannt, er sagt es weniger mir, ich bin kurz alleine, in Deckung. Er hat Handschuhe an, ich merke es jetzt erst, weil er, anders als vorhin, jetzt mich anfasst. Nicht, während er mit ihnen spricht, aber er tastet was ab, er muss auch eine Abdeckung oder so anbringen, er ist in Kontakt mit der Stelle, ich kann nicht anders, als in Kontakt dahin zu sein, ich bin ruhig dabei, aber ich warte auch auf die Spritze in den Po, sie geht weiter, ich glaube, es gibt eine kleine Kontraktion, ich meine auch kurz, ich merk es wegen der Muskeln vermutlich, aber er verneint, es sei nur an der Haut. Ich will noch nachhaken, weil sich es doch in den Muskel fortsetzen könnte, ich bleib stumm, weil es vermutlich nicht stimmt. Immer noch berührt er mich mit einer Hand, er testet an, er sagt, sie wissen, ich teste an, bevor ich anfange, ich sage, dass ich wieder nichts spüre. Er kann’s machen.

Dann werden seine Anweisungen auch kürzer, weil das Meiste getan ist, zuvor sollten sie eine sterile Arbeitsfläche herstellen, mit vielen Dingen, die Pinzette, das Stechinstrument, die Abfälle, ich glaube, sie wissen, was zu tun ist und er ist konzentriert bei der Sache, ich lasse los. Seitlich ist es schwieriger, die Beine zu legen, eine Weile: Fest, aber doch entspannt; als würde es einen Unterschied machen.

Ich würde mittlerweile gerne ein Gespräch führen, auch, nachdem er mich fragt, ob bei mir alles okay, ist, schon nach dem Antesten war es das. Ich will mit ihm über Anästhesie sprechen, ich frage ihn auch einfach, es ist eine gute Gelegenheit. Ich frage, ob es bei der PDA auch so sei unter der Geburt – ob man ähnlich wie ich, da er in meinem Po herumsticht, nichts spürt und dann darunter arbeitet. Er bejaht es, er wäre nicht bei vielen Geburten dabei gewesen, aber das Prinzip sei genau so. Darauf erkläre ich, dass mich dieses Nichtvorhandensein von Schmerzen irritiert in der Vorstellung des Gebärens, für die Kraft, für die Arbeit, für das Mitgehen.

Währenddessen vermisse ich den Schmerz, der in meinem Po angemessen wäre, auch schon bei der Entfernung meines Muttermals unter der Brust. Ich habe es hergegeben, ohne es zu spüren, im Vertrauen auf ihn und seine Arbeit. Ich erkläre mich, wie wenig vorstellbar ich diese Betäubung unter der Geburt finde, das Ausschalten – in diesem Gespräch ist die Situation hergestellt, an die ich mit ihm dachte, die Frauen kichern nur leise, aber eigentlich sind sie nicht mehr dabei.

Es gibt Geburten, die verlaufen nur unter Schmerz und da ist dann darunter gar nichts mehr zu machen, sagt er, da macht es durchaus Sinn. Aber wie Sie es schildern, also ich war ja nur wenig dabei und auch nur in einer anderen Rolle, daher ist es eine eingeschränkte Perspektive, aber ich würde es anders auch bevorzugen, wenn ich das könnte. Sie reagieren darauf untereinander, aber er sagt es zu mir, auch, wenn er mit dem Verbandsmaterial zu tun hat. Ich bejahe es.


Lyrik und Prosa von Minze findet ihr hier: minze.

Hier geht es auch zu den 16 Fragen an Minze.

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