Christiane Portele – Die Hitze

Schon seit Tagen stülpte sich die Hitze über die Stadt wie eine Käseglocke. Die stickige, feuchte Luft klebte an der jungen Frau wie eine zweite Haut. Sie hatte das Gefühl, in dieser Wärme zu zerfließen wie eine Wachskerze. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihre Haare kringelten sich in der Feuchtigkeit. Sie hasste es, wenn ihre Haare sich lockten! Trotzdem sie ihre Haare in einem Pferdeschwanz nach oben gebunden hatte, schwitzte sie so stark, dass der Schweiß ihr in kleinen Rinnsalen den Nacken hinunterfloss und den oberen Rand ihres Tops tränkte.

Die junge Frau saß in dem kleinen Café außerhalb des Einkaufszentrums auf der Terrasse mit Blick auf den kleinen Park. Sie hatte gehofft, dass hier oben vielleicht ein kleiner Windhauch zu spüren wäre, der die schwüle Hitze etwas erträglicher machte. Stattdessen hatte sie das Gefühl gegen eine Wand aus wabernder Wärme anzuatmen. Es fiel ihr schwer, die heiße Luft in ihre Lungen zu saugen.

Sie beobachtete die beleibte Frau ein Tischchen weiter, die, leicht vornübergebeugt, auf ihren Kaffee pustete. Interessiert sah sie zu, wie ein besonders schwerer Schweißtropfen auf der Oberlippe der Beobachteten hing. Gleich tropft er in den Kaffee, dachte sie, gleichermaßen angeekelt wie fasziniert. Mit jedem Wölben der Lippe, mit jedem erneuten Pusten, zitterte der Tropfen und bebte, doch die Oberflächenspannung hielt erstaunlich lange, bevor er sich von der Haut der Dame löste und in den Kaffee plumpste, wo er sich mit der Milch, die sich in der Hitze nicht richtig hatte schäumen lassen, vermischte, und seine Existenz als eigenständiger Schweißtropfen aufgab. Ein Schaudern überlief die junge Frau, dessen sie sich nicht erwehren konnte.

Plötzlich zuckte ein Blitz über die Terrasse, ein Grollen durchschnitt die Luft, wie Explosionen. Ein Gewitter? Wie in Zeitlupe sah sie, wie ein weiterer Tropfen in den Kaffee sprang. Dieser jedoch war anders, war rot. Wie in Zeitlupe knickte die beleibte Dame in der Hüfte ein und fiel mit geöffneten Augen vornüber in ihren Kaffee, der nach allen Seiten spritzte, vermischt mit dem Blut, das der Dame aus dem Hals schoss.
Sie selbst saß da wie gelähmt. Um sie herum brach das Chaos aus. Menschen sprangen in alle Richtungen, versuchten hinter umgekippten Tischen Schutz zu suchen, kauerten auf dem Boden, hielten sich die Ohren zu. Überall spritzte Blut, Fontänen von Blut, ein Regen aus Blut. Sie hätte konkreter sein sollen in ihrem Wunsch nach Regen. Das hier hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie sich eine Abkühlung gewünscht hatte. Wie erstarrt saß sie auf ihrem Stuhl, unfähig zu begreifen, was geschah. Unfähig sich zu rühren. Für kurze Zeit verstummte jeglicher Lärm, sie hörte nur das galoppierende Pochen ihres eigenen Herzens, und das Atmen ihrer Lunge, schnappend, hastig. Die Bewegungen der Menschen um sie herum verlangsamten sich, schienen einen Augenblick stehen zu bleiben. Ein Standbild, dachte sie, ein Schnappschuss.

Im nächsten Moment brach der Lärm wieder über sie herein, das Kreischen, das Schmerzgeschrei, das Röcheln und die Salven eines halbautomatischen Maschinengewehrs. Sie roch das Eisen des Blutes, den durchdringenden Gestank nach Fäkalien. Jemand musste vor Angst seinen Darm entleert haben. Den Schwefelgeruch und die Hitze. Über allem schwebte immer noch diese Hitze. Kein Wunder, dachte sie, dass in dieser Hitze jemand durchdreht und einfach in die Menge schießt. So, genauso, stellte sie sich die Hölle vor!

Jemand rannte auf sie zu. Sie blinzelte, versuchte, sich zu fokussieren. Das war ihre Freundin, die auf sie zu stürmte, sie anbrüllte, mit den Armen wedelte. Doch in diesem mörderischen Tumult ging ihre Stimme unter. Sie sah nur den weit aufgerissenen Mund, die Zähne, schön ordentlich, weiß und gerade, die in einem geradezu grotesken Gegensatz zu dem Durcheinander, das auf der Terrasse herrschte, standen. Sie nahm das angstverzerrte Gesicht ihrer Freundin wahr, die weit aufgerissenen Augen. Blutunterlaufen und panisch. Dann bäumte sie sich auf, als eine Salve von Schüssen durch sie hindurchfuhr. Ihr Bauch platzte auf wie eine überreife Tomate und Gedärme ergossen sich aus ihr heraus. Jetzt ist alles an ihr aufgerissen, dachte sie.

Der Anblick katapultierte die junge Frau aus ihrer Starre. Sie stolperte zu ihrer Freundin, die gerade zur Seite kippte, fing sie auf, bettete sie auf ihren Schoß. Sie strich ihr die Haare aus dem Gesicht und wiegte sie beruhigend hin und her. In einem Moment der Klarheit, wusste sie, dass ihre Freundin sterben würde. Jede Hilfe kam zu spät. Sie wiegte sie sachte, hin und her, hin und her.

Ein Schatten fiel über sie. Sie blickte auf. Vor ihr stand ein Untier. Groß, muskulös, das Gewehr im Anschlag, eine schwarze Skimaske über das Gesicht gezogen. Wie kann man nur so dumm sein, dachte sie, bei dieser Hitze freiwillig eine Skimaske anzuziehen. Sie konnte das triumphierende Grinsen in seinen Augen sehen. Er hatte sie. Nun gab es auch für sie kein Entkommen. Eine heilige Wut erwachte in ihr. Sie schaute ihm in die Augen, diesem Unmenschen mit dem Gewehr, lodernde Herausforderung im Blick. Wenn du mich töten willst, dann tu es, sagte dieser Blick, aber erwarte nicht, dass ich Angst habe. Er zögerte, Unsicherheit schlich sich in seine Augen, Ärger, Irritation. Sie schaute ihn noch einen Moment an, dann brach sie den Blickkontakt ab. Weigerte sich, weiter mit ihm zu kommunizieren. Wenn er sie erschießen wollte, sollte er es tun, aber sie würde ihm nicht den Triumph gönnen, ihre Augen brechen zu sehen. Sie fuhr fort, ihre Freundin hin und her zu wiegen, ganz sanft.

Sie spürte ein brennendes Stechen am Oberarm, bevor sie den Knall hörte. Als sie mit der Hand den Schmerz berührte, fühlte sie eine klebrige, dicke Flüssigkeit: Blut. Der Schatten verschwand in dem Moment, in dem sich ein neuer Klang unter den Lärm des Pandämoniums mischte, die Sirenen von Polizeiautos. Das Quietschen von Reifen, das Schlagen von Türen. Zu dem roten Blutdunst und den schwarzen Schwefelschwaden gesellten sich blaue Intervalle.

Die junge Frau saß da mit ihrer toten Freundin im Schoß, die sie sachte hin und her wiegte, als ein Sondereinsatzkommando die Terrasse stürmte und die ersten Sanitäter auftauchten. Hin und her, hin und her. Ganz ruhig, du Liebe, ganz ruhig, dachte sie, du bist nicht alleine.


Hier geht es auch zu den 16 Fragen an Christiane Portele.

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