Johannes Tosin – Georg Fürnpass‘ AB

Hallo, hallo, Sie sind auf Georg Fürnpass‘ AB. AB steht für A-n-r-u-f-b-e-a-n-t-w-o-r-t-e-r, noch ganz retro auf Festnetz und nicht im Mobilfunknetz. Nach der Katastrophe ist das Mobilfunknetz ja bestimmt zusammengebrochen. Das verkabelte Netz könnte es immer noch geben. Hoffen wir mal so. Wenn Sie nun anrufen, merkt man ja, dass es noch intakt ist. Wer ist eigentlich „man“? „Man“ kann ich sein oder Sie oder die Domina, die mit dreiundsechzig noch anschaffen geht. Manchen bleibt wirklich nichts erspart, ich meine damit die Domina. Nicht, dass ich bei ihr Gast gewesen wäre, und wenn doch, ist es nun vollkommen egal. Ist es nicht so? Wir haben jetzt andere Probleme.


Bitte nennen Sie mir Ihr Anliegen nach dem Piep. Ja bitte, sprechen Sie! Die nächsten höchstens zehn Sekunden gehören Ihnen. Allerdings muss ich Ihre Vorfreude auf Kommunikation dämpfen. Das Festnetztelefon steht im Haus, und ich sitze aller Voraussicht nach in meinem Bunker. Hier habe ich Lebensmittel für acht Jahre und Unmengen an sauberem Wasser. Nur die Luft werde ich wahrscheinlich bald nach dem Ereignis von außerhalb beziehen müssen. Sie wird gut atembar, aber leider verstrahlt sein. Das kann sehr unappetitlich werden, wenn man strahlenkrank wird. Das weiß ich von Comics über Hiroshima. Man bekommt fürchterlichen Durchfall und die Konsistenz der Fäkalien ist flüssig. Wenn ich also Pech habe, wird es im Bunker stinken wie in einer römischen Militärlatrine. Die Legionäre, die da aufgereiht wie Vögel auf dem Nullleiter einer Stromleitung saßen, hatten wenigsten jemanden zum Reden, viele sogar, alle nämlich, die dort saßen. Ich habe hier niemanden zum Reden, ich bin hier ganz alleine. Eigentlich hätte der Proviant ja nur für drei Jahre pro Person reichen sollen, doch meine Frau zog zu ihrem Lover, einem Polizisten übrigens, sie mag Uniformen, ihr Lover hätte vermutlich genauso gut bei der Freiwilligen Feuerwehr sein können. Das waren dann einmal drei Jahre Verpflegung plus für mich. Ja, und dann war noch die Sache mit unserem Sohn Willie. Er sah, wie die Bombe an einem Fallschirm hinunter schwebte. Und dann explodierte sie. Willie dachte, sie würde erst am Boden detonieren. Alles war weiß. Willie verdampfte. Und ich schloss die Luke, so schnell ich konnte. Willie war elf, als er starb. Das waren weitere zwei Jahre Proviant für mich.

Die Leute wissen ja nichts von mir. Sie denken immer, ich wäre Georg Fürnpass, Gabelstaplerfahrer bei Coca-Cola. Dabei bin ich Georg Fürpass, heimlicher Millionär, Bitcoin-Investor und Kunstsammler. Mit Bitcoin ist nun ja leider nichts mehr, aber ein paar meiner Gemälde habe ich hier im Bunker aufgehängt, Matisse, Picasso, Kiki Kogelnig und Hermann Nitsch. Gabelstaplerfahrer war ich nur zur Tarnung. Ich wollte mich ja keinen Schnorrern aussetzen.

Sehr wichtig, wenn man so wie ich in einem Bunker sitzt, ist die Verteidigungsbereitschaft. Wird er erst entdeckt, und irgendwann wird er entdeckt, werden Leute von draußen versuchen, ihn zu entern. Ich habe mich vorbereitet, das zu verhindern. Ich habe mir sechs Sturmgewehre vom Typ RS556 von Steyr Mannlicher und Rheinmetall liefern lassen. Dazu so viel Munition, wie aufzutreiben war, eine halbe Lkw-Ladung. Zirka zweitausend Schuss und drei Sturmgewehre sind etwas schräg unterhalb der Luke platziert. Der Rest lagert in einem großen angeschlossenen Raum. Um das Ganze zu präzisieren, muss ich sagen, dass ich mit einer Frau mit dem Aussehen eines Pornostars schon etwas anfangen könnte. Vielleicht könnte ich „Komm runter, Schmuckstück!“, sagen. Ein bisschen was essen und trinken – ein paar gute Tropfen habe ich schließlich auch, habe ich das bislang nicht erwähnt? –, ausgiebig duschen, und dann geht es zur Sache. Danach entsorge ich die Grazie durch die Luke nach draußen. So stelle ich mir das vor. Bislang allerdings ist alles ruhig, komplett ruhig, nicht das leiseste Geräusch ist zu hören, allerdings ist mein Bunker ja auch hermetisch abgeriegelt, das Einzige, was ich hören könnte, ist, wenn sich jemand bei der Luke zu schaffen macht.

Eigentlich ist es so: Ich sitze hier und warte auf den Tod. Und Sie, werter Anrufer, warten Sie auf einen Rückruf, den ich nicht werde tätigen können?


Foto: Johannes Tosin

Hier geht es auch zu den 16 Fragen an Johannes Tosin.

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