Juri Ricken – Von der Kunst

In dem Café, in dem Eduard saß und schrieb, war nicht viel los. Eine alte Dame die Tee trank und aus dem Fenster schaute. Eine Kellnerin und ein Kellner. Ein Handwerker der an der Heizung des Café’s zu Gange war. Eduard saß in einer Ecke des Ladens. Wenn er von seinem Bildschirm aufsah, konnte er alle Anwesenden beobachten. Die beiden Bedienenden hinter der Theke, die mit einander redeten und kicherten. Immer nur so laut, dass sie keinen Besucher stören würden. Paul Desmonds Saxophon gab den Pegel an welchen er, beim erzählen seiner kleinen Witzchen, nicht überschreiten konnte. Nur ihr quiekendes kichern übertönte zuweilen das Cool-Jazz Quartett aus der Dose. Die alte Dame, die vertreten aus dem Fenster schaute, saß gerade auf ihrem Stuhl. Auf ihrem Schoß war eine Handtasche, die sie mit ihren dünnen Ärmchen umschlungen hielt. Ihr Tee dampfte unbeachtet vor sich hin, sodass Eduard befürchtete sie habe ihn vergessen. Und dann war da noch der Handwerker an der Heizung.

Er schraubte an unbekannten Schrauben und Rohren. Eduard hatte Heidegger gelesen und verstanden, aber das, was der gute Mann an der Heizung werkelte war Raketen Physik für ihn. Er stand auf, kniete sich hin, schaute hinter die Heizung, dann wieder in irgendeinen Kasten, der in die Wand führte. Er begleitete seine Arbeit mit leisem ächzten und fluchen. Als er merkte, dass Eduard ihn beobachtete hielt er inne. »Was schaust’n so Sportsfreund?« Eduard riß seine Augen erschrocken auf, dann schaute er schnell zurück auf sein Notebook. Der kräftige Typ in Arbeitskleidung wisch sich die Hände mit einem dreckigem Lappen ab und steuerte in seine Richtung. Eduard erstarrte. Er fühlte wie sein Herz an seine Rippen hämmerte. Er spürte seine dünnen Ärmchen in den Hemd Ärmeln. »Hast wohl noch nie nen richtigen Arbeiter gesehen, was Kleiner?« Er stand direkt vor ihm und schaute auf ihn herab. »Schau mich an wenn ich mit dir rede. Was machste da, wieso biste denn nicht auf Arbeit?« Schnell hatte die Kellnerin sich eingeschaltet und fragte verlegen: »Gibt es hier ein Problem?« Schließlich antwortete Eduard ohne auf die Frage der Kellnerin einzugehen. »Ich arbeite. Ich, ich bin Schriftsteller.« Sein Gegenüber brach in höhnisches Gelächter aus. »Schriftsteller sind se, na prima. Da haben wir noch nicht genug, hahaha.« Dann wurde er plötzlich wieder ernst. »Noch so ein arbeitsloser Nichtsnutz. Ich will dir mal was sagen, Kleener …« Die Kellnerin wollte etwas beipflichten, wurde aber von dem frustrierten Handwerker abgewürgt. »Wegen Nichtsnutzen wie dir muss ich …« Weiter kam er nicht. Die alte Dame hatte sich von Ihrem Platz erhoben und stand nun neben den beiden, die um Eduard standen. »Wenn sie erlauben, mein Herr.« Sie wandte sich an den Handwerker. »Ich habe fünfzig Jahre eine Metzgerei betrieben. Mit meinem Mann zusammen. Sechs tage die Woche hatten wir geöffnet. Und ich kann Ihnen sagen, wir haben genau so geredet wie Sie. Es braucht Leute die anpacken. Doch ich sage Ihnen, anpacken bedeutet mehr als sie meinen. Wissen sie, wann mir das klar geworden ist? Als Heribert verstorben ist. Ach, ehm, Verzeihung, Sie wissen ja garnicht … Heribert war … nein, ist, mein Mann. Ich saß in der Küche und starrte auf den Platz auf dem er immer geseßen hatte. Und da lief im Radio dieses Lied. Der Radio Sprecher sagte es sei von einem französischem Herrn Namens Éric Satie. Und als ich dem Klavier zuhörte konnte ich zum ersten Mal weinen.« Sie machte eine Pause. »Da ist mir klar geworden, es gibt Menschen die das Leben möglich machen und die, die es Lebenswert machen.«


Hier geht es auch zu den 16 Fragen an Juri Ricken.

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