Archiv der Kategorie: Prosa

Lars Döring – Wunderkind

Friedrich Spesmanns Geburt verlief derart reibungslos, dass seine Mutter erst die Wehen bekam, als sie ihren Sohn bereits in den Armen hielt. Die Finger bewegte er mit der Eleganz und Behändigkeit eines Kapellmeisters und in seinen entschlossenen Augen ließ er eine Gespanntheit des Verstandes aufblitzen, die sich unmittelbar auf seinen Körper übertrug. Er strampelte kaum mit den Beinen, vielmehr war es ein beherzter Gang, von dem er nicht erwarten konnte, ihn endlich in die Tat umzusetzen. Man hörte ihn nie schreien, stattdessen wirkte seine Stimme unaufdringlich und zurückhaltend, als entschuldige er sich im Vorfeld für die aufkommenden Unannehmlichkeiten, derer er sich durch seine Abhängigkeit von Mutter und Vater schämte. Er wurde nie wirklich älter, da er immer schon alt war, und geduldig wartete er auf den Tag, dass sein Leib in der Reife stand, die sein Geist längst besaß.

„Ihr Sohn“, verkündete der Arzt im Kreißsaal, „ist einzigartig. Ein solches Kind wird es weit bringen. Verschwenden Sie sein Talent nicht!“

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16 Fragen an Lars Döring

16 Fragen an Lars Döring

Wir freuen uns, euch erneut jemand Neues auf den 16 Seiten vorstellen und wie immer erfolgt das anhand einer kleinen Selbstvorstellung und der 16 Fragen.

Viel Spaß beim Kennenlernen von Lars Döring:

Lars Döring, geboren 1990 in Göttingen, studierte Soziologie in Bremen und Münster. Über Hamburg und Magdeburg hat es ihn nach Nürnberg verschlagen, wo er derzeit lebt und arbeitet. Das nach dem Studium entstandene Loch musste irgendwie gefüllt werden, das Schreiben lag da nahe. Seitdem hat er einige Kurzgeschichten verfasst, von denen eine im Dichtungsring veröffentlicht wurde. Derzeit schreibt er an einem historischen Roman, Erscheinungsdatum unbekannt.

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Johannes Tosin – Wechselgeld

Der Burgherr und Ritter sitzt in einer Schenke im Nachbarland. Neben ihm hat sein Hofnarr Platz genommen. Sie sind fertig mit Essen und Trinken. Jetzt nähert sich der Wirt.

Wirt:         Hat´s gemundet, meine werten Herren?

Ritter:      Der da ist kein werter Herr.

Er deutet auf den Hofnarr.

Hofnarr:  Hihi, haha, mein Herr ist ein Herr, aber wert ist er auch nicht, hihi, haha, hoho.

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Alina Becker – Als Lily eine lustige Geschichte schreiben wollte

Immer wenn Lily schreibt, bekommt sie diesen völlig entrückten Gesichtsausdruck. Wenn sie überlegt, starrt sie dann Löcher in die Luft, egal wo sie sich befindet. So wie jetzt im Café.
„Lily?“ Ich fuchtele mit meiner Hand vor ihren Augen herum, die auf ein Bild an der Wand gerichtet sind, eine dieser kitschigen Fotografien, auf denen kleine Kinder küssender- oder schmusenderweise abgebildet sind, in Schwarz-Weiß mit Farbakzenten, meistens Rosen, wie auch in diesem Fall. Gar nicht Lilys Geschmack, und doch starrt sie schon seit fünf Minuten auf diese trikolore Scheußlichkeit.
„Shht!“, macht Lily. „Ich denke.“
„Soll ich dir dabei helfen?“, biete ich an, denn meine Kaffeetasse ist mittlerweile leergetrunken, der Inhalt von Lilys bestimmt eiskalt geworden, und ich langweile mich. Lily klopft mit ihrem Kugelschreiber, einem dieser billigen Plastikteile, die sie immer zigfach in Drogeriemärkten kauft, gegen ihre Schneidezähne. Lily hat bemerkenswert große Schneidezähne, die genügend Klopffläche bieten.

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